Donnerstag, 31. Juli 2014

1331-1340

von ir schulden ungemach.
ze jungest si dâ sitzen sach
die werden götinn alle drî,
die wandels unde meines frî
durch guften und durch schallen
dô sâzen ob in allen,
als ich dâ vornen hân gezelt.
nû si die frouwen ûz erwelt
gesach sô rehte wunneclich,
seht, dô gedâhte wider sich

Leid geschehe.
Schließlich sah sie dort
alle drei edle Göttinnen sitzen,
die ohne Fehl und Tadel
wegen der lauten Rufe und dem Getöse
dort vor allen anderen saßen,
wie ich vorne schon erzählt habe.
Als sie nun die auserwählten und so
vergnüglichen Damen gesehen hatte,
seht, da dachte sie sich,

1321-1330

den fröudenrîchen hoveschal.
die liute mohtes' über al
wol geschouwen unde spehen,
und kunde nieman si gesehen
noch gehœren ûf dem plân.
si liez ir ougen umbe gân
in der wunneclichen schar
und nam des vlîzeclichen war,
wâ si die besten sæhe,
durch daz in dâ geschæhe

den freudvollen höfischen Trubel stoppen.
Sie konnte alle Leute
genau betrachten und erspähen
und niemand konnte sie dort auf
dem Platz sehen oder hören.
Sie ließ ihren Blick über
die vergnügliche Schar schweifen
und achtete eifrig drauf,
wo die Besten zu sehen waren,
damit ihnen dort wegen ihrer Vergehen

[Eigentlich will Discordia den »hoveschal« »vergiften«, aber das lässt sich wohl nicht so ohne Weiteres ins Neuhochdeutsche übertragen.]

Mittwoch, 30. Juli 2014

1311-1320

der edel und der fremde stein,
der von dem vingerlîne schein
und ûz im schône lûhte.
dekeinen man bedûhte,
daz er die frouwen sæhe,
diu mit gezierde wæhe
gie vor in allen unde stuont.
si tet, als alle die noch tuont,
die strîte wellent stiften,
und wolte dâ vergiften

der edle und fremdartige Stein,
der am Ring glänzte
und aus sich heraus schön leuchtete.
Niemand hatte den Eindruck,
die Dame zu sehen,
die mit kostbarer Pracht
vor ihnen allen ging und stand.
Sie tat das, was auch heute noch diejenigen tun,
die Streit stiften wollen,
sie wollte dort

Dienstag, 29. Juli 2014

1301-1310

nieman gesehen möhte ir lîp.
Discordîa, daz übel wîp,
truoc an ir hende ein vingerlîn,
daz kunde ir antlitz und ir schîn
verdecken wol mit sîner maht.
von sîner krefte alsô verdaht
wart ir menschlich bilde,
daz ir figûre wilde
wart in allen ûf dem plân.
diz wunder hete an ir getân

gesehen werden konnte.
Discordia, die böse Frau,
trug an ihren Händen einen Ring,
der die Kraft hatte, ihr Gesicht
und ihre Erscheinung zu verbergen.
Durch dessen Kraft wurde
ihre menschliche Erscheinung so verdeckt,
dass ihre Gestalt allen auf
dem Feld fremd blieb.
Dieses Wunder wirkte an ihr

Montag, 28. Juli 2014

1291-1300

und hete si versmâhet gar.
des kam si von ir selben dar
mit zorneclichen riuwen.
si wolte kriege briuwen
und alsô bitterlîche nôt,
daz manger sît gelæge tôt.
Nû merkent, wie si' z ane vienc.
bekleidet si nâch wunsche gienc
in daz gestüele tougen,
sô daz mit sînen ougen

und sie völlig verschmäht.
Deshalb kam sie aus eigenem Antrieb dorthin
mit zorniger Trauer.
Sie wollte zu Streit anstiften
und zu so schmerzvollem Elend,
dass mancher in der Folge sterben würde.
Passt auf, wie sie das anfing!
Mit Kleidung, die man sich nicht besser vorstellen kann,
ging sie heimlich dorthin, wo man saß,
so dass sie von niemandem

Freitag, 25. Juli 2014

1281-1290

durch daz si vröude swachte
und einen kriec dâ machte,
von dem sich hüebe ein michel strît.
daz si ze sîner hôchgezît
her Jûpiter der stæte
geladen niht enhæte,
dâ von leit si den smerzen,
daz trûren in ir herzen
lac unde zornes galle.
er luot die götinn alle

um das Glück zu trüben
und um dort einen Streit zu entfachen,
von dem ein großer Krieg ausgehe.
Dass sie Herr Jupiter, der Untadelige,
nicht zu seinem Fest
geladen hatte,
das war es, was sie schmerzte,
was sie in ihrem Herzen traurig machte,
und dort Zorn, Gift und Galle erregte.
Er hatte alle Göttinnen eingeladen

Donnerstag, 24. Juli 2014

1271-1280

vil dicke ûf werde hoveschar,
die si mit kriege sô verwar,
daz si ze strîte kâmen.
si kunde ir scheidelsâmen
wol under friunde sæjen,
dar umbe daz si mæjen
begunde schaden und verlust.
mit sô getâner âkust
hetes' al ir zît vertân.
si was erbeizet ûf den plân,

immer wieder auf angesehene Leute vom Hof gerichtet,
die sie mit Zwist und Zwietracht derart in Verwirrung versetzte,
dass sie zum Streiten gebracht wurden.
Sie war in der Lage, ihren Samen der Zwietracht
auch zwischen Freunden zu sähen,
so dass sie anfingen,
Leid und Verderben zu ernten.
Mit solcher Tücke
verbrachte sie all ihre Zeit.
Auf dem Feld stieg sie vom Pferd,

[»mæjen« meint natürlich eigentlich »mähen«; »ernten« scheint mir hier aber verständlicher zu sein.]

Mittwoch, 23. Juli 2014

1261-1270

mit hazze werde liute.
›discordiâ‹ ze tiute
ein missehellung ist genant,
dâ von der name wol bewant
was an ir lîbe schœne,
der nîdic unde hœne
bî wunneclichem bilde was.
swer an sich hôhe wirde las,
dem wart gevære si zehant.
ir haz den hete si gewant

und dafür zu sorgen, dass sich redliche Leute hassen.
Das, was ›discordia‹ meint,
nennt man Uneinigkeit;
deshalb passt der Name gut
zu ihrer schönen Erscheinung:
missgünstig und böswillig war sie,
auch wenn sie hinreißend aussah.
Jeder, der für sich große Ehre und hohes Ansehen errang,
dem war sie sofort feindlich gesinnt.
Ihren Hass, den hatte sie

[»bî wunneclichem bilde« stellt für das Neuhochdeutsche eine schwere Herausforderung dar, weil hier die Böswilligkeit unmittelbar neben die Schönheit gestellt wird, wofür ich im Neuhochdeutschen keine wirklich zufriedenstellende Lösung gefunden habe.]

Dienstag, 22. Juli 2014

1251-1260

geriten kam ein frouwe stolz,
die sach man nider für daz holz
ûf die plânîe erbeizen.
Discordiâ geheizen
was daz wol getâne wîp;
mit rîcher wæte was ir lîp
gezieret und bevangen;
doch hete si begangen
vil dicke wandel unde mein.
si kunde werren under ein

eine stolze Dame geritten,
die man auf dem Weg zum Wald
auf dem Feld absitzen sah.
Discordia wurde die
schöne Frau genannt;
mit kostbarer Kleidung war sie
geschmückt und umhüllt;
allerdings war sie sehr häufig
für Übles und Frevelhaftes verantwortlich.
Sie war in der Lage, Zwietracht zu stiften

Montag, 21. Juli 2014

1241-1250

den göten und der künige schar,
die zuo dem hove kâmen dar,
dur daz si dâ beliben vrô.
nû Pallas unde Jûnô
sâzen dâ gezieret sus
und diu götinne Vênus
in beiden saz vil nâhe bî,
seht, dô wurdens' alle drî
gereizet balde ûf einen strît.
ûf einem blanken pferde sît

für die Götter und die Schar der Könige,
die dorthin zu dem Hof kamen,
um dort glücklich zu sein.
Als nun Pallas und Juno
dort so schön ausstaffiert saßen
und ganz nahe bei ihnen beiden
die Göttin Venus saß,
schaut, da wurden alle drei bald
zu einem Streit gereizt.
Auf einem weißen Pferd kam als nächstes

[Sollte man mhd. »vrô« mit nhd. »froh« übersetzen? Oder ist hier nicht eher »glücklich« gemeint? Ich entscheide mich hier für letzteres.]

Freitag, 18. Juli 2014

1231-1240

ze wunder ane blicte.
ir drîer clârheit schicte,
daz manger dâ begunde jehen:
›ach got, wan solt ich iemer sehen
und êweclichen schouwen
dis ûz erwelten frouwen,
der leben ist sô vollekomen!‹
sus hete ir minne an sich genomen
vil ougen unde herzen.
si bâren jâmersmerzen

als ein Wunder anstaunte.
Der reine Glanz von den dreien bewirkte,
dass dort so mancher zu sagen begann:
›Gott, ach, könnte ich doch für immer sehen
und auf ewig anschauen
diese auserwählten Damen,
deren Leben so vollkommen ist!‹
Auf diese Weise hatte ihre Liebeswürdigkeit
viele Augen und Herzen für sich eingenommen.
Mit sich brachten sie Jammer und Schmerzen,

[Da mir nhd. »anschauen« für mhd. »anblicken« zu schwach zu sein scheint, weiche ich auf »anstaunen« aus. Ich übersetze »minne« hier nicht mit »Liebenswürdigkeit«, was meines Erachtens zu schwach wäre, sondern etwas kreativer mit »Liebeswürdigkeit«. Das »bâren« ist schwer zu übersetzen; ich versuche es mit »mit sich bringen«, bin damit aber nicht ganz glücklich; »in sich trugen« ist aber miss- oder gar unverständlich.]

Donnerstag, 17. Juli 2014

1221-1230

erwelte margarîten
in bâren zuo den zîten.
Die selben götinn alle drî
schœn unde missewende frî
wâren sô liutsælic gar
und alsô rehte wunnevar
an lîbe und an gezierde grôz,
daz manic lûter ouge entslôz
ûf der hôchgezîte sich,
daz die götinne keiserlich

ausgesuchte Perlen
durchleuchtenden Glanz darboten.
Alle drei Göttinnen waren
schön und frei von schlechtem Handeln
und so ganz und gar leutselig
und so ganz wonnevoll anzusehen
was den Körper und auch das schmuckvolle Auftreten anbelangt,
dass sich bei diesem Fest
so manch reines Auge auftat,
das die königlichen Göttinnen

[Ich bin mir nicht sicher, was genau hier mit dem »entsliezen« der Augen gemeint ist. Die grundlegende Bedeutung dürfte »aufschließen«, »öffnen« sein. Ich übersetze, um die Formulierung nicht zu einfach werden zu lassen »auftun«.]

Mittwoch, 16. Juli 2014

1211-1220

mit swacher missewende.
der Wunsch mit sîner hende
vor wandel hete si getwagen.
si kunden laster in ir tagen
und allen valsch vermîden.
von liehter ziclâtsîden
ir cleider stuonden wol geweben,
und wâren lîsten unde reben
von golde rôt gedrungen drîn,
dar ûz durchliuhteclichen schîn

durch schlechte, schändliche Handlungen.
Die Idealvorstellung mit ihren Händen hatte sie
von Wandelbarkeit reingewaschen.
Sie waren im Stande, in ihrer Zeit
Schande und alle Treulosigkeit zu vermeiden.
Ihre Kleider waren gewebt
aus heller Ziklatseide
und darin waren Borten und Goldstickereien
mit rotem Gold durchflochten,
von dem ihnen zu dieser Zeit

[Wie übersetzt man »ziclâtsîde« (und: was ist das)?]

Dienstag, 15. Juli 2014

1201-1210

und gap durchliuhteclichen schîn.
Vênus, der minne künigin,
diu beidiu schœne und edel schein,
diu was diu dritte nâch den zwein,
und saz gezieret schône.
von golde ein rîlich crône
ir iegelicher houbet hie
vil werdeclichen umbevie
und was dar ûf gesetzet.
ir lîp was niht geletzet

und verbreitete alles durchleuchtenden Glanz.
Venus, die Königin der Liebe,
Die sowohl auf schöne wie auch auf edle Weise leuchtete,
die war zu diesen beiden die dritte
und saß – schön geschmückt.
Eine herrliche Krone aus Gold,
die ihnen aufgesetzt worden war,
umfing hier den Kopf
einer jeden von ihnen auf würdevolle Weise.
Sie waren nicht erniedrigt

Montag, 14. Juli 2014

1191-1200

mit schœne z'in gemâzen;
dâ von si z'obrest sâzen
schôn und gewalteclîche dô.
daz eine was frô Jûnô,
diu rîcheit unde guotes pflac.
an ir sô ganziu wirde lac,
daz si gestalt nâch wunsche was.
daz ander was vrô Pallas,
ein götinn aller wîsheit,
diu saz rîlîche dâ bekleit

sich in Sachen Schönheit mit ihnen zu vergleichen;
deshalb saßen sie dort – wie es
angesichts ihrer Macht angebracht war – am höchsten.
Die eine war Frau Juno,
die reich und mächtig war.
Wegen der Würde, die ihr so vollends zukam,
entsprach ihr Aussehen dem Idealbild.
Die zweite war Frau Pallas,
eine Göttin aller Weisheit,
die saß dort herrlich bekleidet

Freitag, 11. Juli 2014

1181-1190

in bâren schaten unde luft.
durch ruomes und durch schalles guft
gezieret wâren si nâch lobe.
in allen wirdeclichen obe
sâzen drî götinne,
die leben unde sinne
mit tugende kunden gesten.
si wâren dâ die besten
vor der plânîe vorste.
kein frouwe sich getorste

boten, Schatten und frischen Wind.
Wegen des Ruhms und der lauten Rufe
hatten sie sich so herausgeputzt, dass sie Bewunderung erregten.
Auf würdevolle Art und Weise
saßen ihnen allen drei Göttinnen vor,
die in der Lage waren, ihr Leben und ihren Verstand
mit Tauglichkeit zu verbinden.
Sie waren dort die Besten
vor dem Wald bei der Ebene.
Keine Dame wagte es,

[Was genau mit dem »leben« gemeint ist, dem die Göttinnen »Tauglichkeit« beigesellen, ist mir nicht klar.]

Donnerstag, 10. Juli 2014

1171-1180

der man ze hôchgezîte gert.
die geste rîlich unde wert
die wâren hübisch unde geil
und heten hôher fröuden teil,
die man zer welte haben sol:
in allen was von herzen wol.
In dirre wunne schalle
wâren die götinn alle
gesezzen ûf gestüele,
dâ vrische boume küele

die man von einem Fest verlangt, fehlte es dort.
Die herrlichen und angesehenen Gäste,
die waren höfisch und fröhlich
und erlebten besondere Freuden,
wie man sie sich auf der Welt nur wünschen kann.
Ihnen allen ging es von Herzen gut.
Inmitten dieser lustvollen Geräuschkulisse
hatten sich die Göttinnen alle
auf Stühle gesetzt,
wo junge Bäume ihnen Kühle

Mittwoch, 9. Juli 2014

1161-1170

beidiu frouwen unde man;
dâ gleiz vil manic fürspan
und manic edel schapellîn,
dâ bôt durchliuhteclichen schîn
diu gimme und daz gesmîde:
der purper und diu sîde
ir glanz dar under wâben;
dar zuo die bluomen gâben
und diu sunne liehten glast.
dekeiner wunne dâ gebrast,

von sowohl Damen wie auch Herren gesungen;
dort glänzte so manche Spange
und manch edler Kranz;
dort boten die Edelsteine und das Geschmeide
einen alles durchleuchtenden Schein;
Seidenstoffe verschiedener Farben
flochten ihr Leuchten ein;
dazu verströmten die Blumen
und die Sonne hellen Glanz.
An keiner Herrlichkeit,

[»fürspan« bezeichnet eine Spange, die ein Gewand vorne zusammenhält. »purper« ist laut Lexers Handwörterbuch ein kostbarer Seidenstoff von verschiedener Farbe.]

Dienstag, 8. Juli 2014

1151-1160

bech unde manic brünnelîn,
daz mit dem süezen fluzze sîn
die wisen kunde erfiuhten.
man sach dâ verre liuhten
golt, silber und gesteine,
daz manic wilde feine
truoc an ir liehten wæte.
dâ was vil grôz geræte
von tranke und ouch von spîse;
dâ sungen süeze wîse

Bäche und so manchen kleinen Brunnen fließen,
die mit ihrem lieblichen Fluss
die Wiesen befeuchteten.
Man sah dort weithin leuchten,
Gold, Silber und Edelsteine,
die manch wilde Fee
an ihrer glänzenden Kleidung trug.
Dort gab es eine große Fülle
an Getränken und auch Speisen;
dort wurden angenehme Melodien

Montag, 7. Juli 2014

1141-1150


und alsô glanz diu sunne,
daz von ir michel wunne
sich huop ûf der plânîe.
die boume und ir flôrîe
die bâren schaten unde luft.
ir bleter und ir blüete kluft
ze fröuden heten sich gestalt.
ein vôrest und ein grüener walt
nâch an den anger stiezen,
dar ûz sach man dâ fliezen

und die Sonne so leuchtend,
dass sich durch sie große
Behaglichkeit auf dem Feld ausbreitete.
Die Bäume und ihre Blüten
boten frischen Wind und Schatten.
Ihre Blätter und ihre gespaltenen Blüten
hatten sich so hergerichtet, dass sie Freude erweckten.
Ein Forst und ein grüner Wald
stießen in der Nähe an die Wiese.
Von dort her sah man da

[In Lexers Handwörterbuch werden für mittelhochdeutsch »luft« auch die Bedeutungen »Luftzug« und »Wind« angegeben. Ich übersetze »frischen Wind«. Was unter der »kluft« der Blüten zu verstehen ist, hat mir einiges Nachdenken gekostet. »kluft« kommt von »klieben« – neuhochdeutsch »spalten« – und dürfte auf die Form der Blüten verweisen.]

Freitag, 4. Juli 2014

1131-1140

dâ stuonden wol geverwet
und heten sich gegerwet
in liehten wunneclichen schîn.
diu wilden cleinen vögellîn
diu sungen ûf den esten
den hovelichen gesten
sô rîlîch in ir ôre,
daz in der himele kôre
möht ir gedœne erclungen sîn.
ouch was daz weter alsô vîn

standen da in schönen Farben
und hatten sich in helles,
anmutiges Leuchten gekleidet.
Die kleinen wilden Vögelchen,
die sangen auf den Ästen
den höfischen Gästen
so herrlich in ihr Ohr,
dass ihr Klang ebenso gut
in den Chören des Himmels hätte erklingen können.
Auch war das Wetter so angenehm,

Donnerstag, 3. Juli 2014

1121-1130

dekeinen plân beschouwen,
den ritter unde frouwen
sô kostbærlîche zierten.
ouch spilten unde smierten
rôsen, vîol unde bluot
in manges edelen herzen muot
durch der ougen bürgetor.
in den luft vil hôhe enbor
klanc vil manic stimme lût.
bluomen, gras, loup unde crût

irgendeine Ebene betrachten,
die von Rittern und Damen
so kostbar geschmückt war.
Auch leuchteten und lächelten
Rosen, Veilchen und Blüten
durch das Burgtor der Augen
in das Gemüt manch edlen Herzens.
Ganz hoch empor in die Luft
klang laut so manche Stimme.
Blumen, Gras, Laub und Kräuter

Mittwoch, 2. Juli 2014

1111-1120

gezoges vil an sich genomen
und was zer hôchgezîte komen
nâch küniclichen êren.
den hof begunde er mêren
werdeclichen ûf dem grase,
dâ beide bluomen unde wase
zierten anger unde velt.
vil manic keiserlich gezelt
was geslagen ûf den clê.
man dorfte weder sît noch ê

viel Waffen angelegt und war so,
wie es dem Ansehen eines Königs gebührt,
zum Fest gekommen.
Auf würdevolle Weise vergrößerte
er die Hofgesellschaft auf der Wiese,
wo sowohl Blumen als auch Gras
Feld und Wiese schmückten.
So manches königliches Zelt
war dort auf dem grünen Klee aufgeschlagen.
Weder zuvor noch seitdem konnte man


[Ich übersetze »keiserlich« mit »königlich«, weil das Konzept des Königtums den heutigen Lesern näher und verständlicher sein dürfte als das Konzept des Kaisertums. Den »Klee« ergänze ich mit dem Adjektiv »grün«, weil der »Klee« im heutigen Deutsch vor allem als feste Wendung in Verbindung mit diesem Adjektiv (noch einigermaßen) gebräuchlich ist.]

Dienstag, 1. Juli 2014

1101-1110

dennoch in dem gevilde.
diz mære in beiden wilde
was und ir vater Prîamô.
si wisten umb in cleine dô,
wan si des heten wol gesworn,
daz der jungelinc verlorn
in dem walde wære:
dô was der hovebære
beliben harte wol gesunt.
sîn vater hete bî der stunt

damals noch in der wilden Abgeschiedenheit lebte.
Von dieser Sache wussten die beiden
nichts, auch nicht ihr Vater Priamus.
Sie wussten zu dieser Zeit nichts von ihm,
weil sie gewiss geschworen hätten,
dass der Jüngling in dem Wald
umgekommen sei:
Doch war der höfische,
voll und ganz gesund geblieben.
Sein Vater hatte zu diesem Zeitpunk

[Das immer etwas schwierig zu übersetzende »gevilde« übertrage ich mit »wilder Abgeschiedenheit«. Das »verloren«-sein des »jungelinc« mit »umkommen« – auch wenn »verloren« wohl allgemeiner ist.]