Dienstag, 25. November 2014

1951-1960

den wil ich âne zwîvel hân.
ze wunsche bin ich wol getân
und ist grôz êre an mich geleit;
jô walt ich aller wîsheit
und manger hôhen künste.
von mîner helfe günste
wirt sælde vil gewunnen.
der siben liste brunnen
den leit ich unde kêre.
von mîner süezen lêre

und ganz ohne Zweifel will ich ihn haben.
In Sachen Aussehen habe ich alles, was man sich nur wünschen kann
und großes Ansehen kommt mir zu.
Und ich verfüge ja auch über alle Weisheit
und manche besondere Kunstfertigkeit.
Durch die Gunst meiner Hilfe
wird viel Heil erlangt.
Die Flüsse der sieben freien Künste
leite ich und ich gebe ihnen die Richtung.
Durch meinem süßen Unterricht

Montag, 24. November 2014

1941-1950

grôzlichen hort und allen schaz.
dâ von wirt âne widersaz
der apfel endelichen mîn.
er sol mîn eigen iemer sîn,
sît ich an rîchtuom und an lobe
sweim allen werden frouwen obe.‹
Pallas der rede antwürte bôt.
ûz einem liehten munde rôt
sprach si bescheidenlichen z’ir:
›der apfel sol billîche mir,

große Reichtümer und alle Schätze.
Deshalb wird der Apfel letztlich
ganz ohne Widerstand mir gehören.
Mein Eigentum soll er auf ewig sein,
da ich an Reichtum und Lobpreis
über allen angesehenen Damen schwebe‹.
Auf diese Rede antwortete Pallas.
Aus einem hellen, roten Mund
sprach sie – auf angemessene Art und Weise:
›Der Apfel muss von Rechts wegen mir gehören

Freitag, 21. November 2014

1931-1940

mîn bruoder und mîn âmîs.
dar zuo trag ich sô werden prîs,
daz wîplich crêatiure
nie wart alsô gehiure,
noch sô rehte schœne als ich.
kein vrouwe kriege wider mich,
daz si wunneclicher sî.
mir wont sô rîche sælde bî,
daz mir dienet manic lant.
ich hân in mîner werden hant

mein Bruder und mein Liebster.
Außerdem kommt mir so edles Lob zu,
dass ein weibliches Wesen
nie derart lieblich und angenehm gewesen ist
noch so schlechthin schön wie ich.
Keine Dame führe mit mir Streit darüber,
dass sie anmutiger und schöner sei.
Bei mir ist so großes Heil,
dass mir viele Länder dienen.
In meiner edlen Hand habe ich

[Ich übersetze »gehiure« mit »lieblich und angenehm«, um das Bedeutungsspektrum deutlich zu machen. Ähnliches gilt für das (immer schwierige) »wunnecliche«.]

Donnerstag, 20. November 2014

1921-1930

mîn eigen, daz erkenne ich wol.
von schulden ich in haben sol,
wan niender lebet mîn gelîch.
ich bin gewaltic unde rîch,
junc, edel unde tugenthaft.
an guote hân ich wol die kraft
und alsô ganzer wirde ruom,
daz über allen rîchtuom
stêt mîn krefteclich gebot.
ouch ist der aller hœhster got

mir gehören – da bin ich mir sicher.
Zurecht muss er mir gehören,
denn niergendwo lebt jemand, der mir gleicht.
Ich bin reich und mächtig,
jung, von edler Geburt und tugendhaft.
Mit Gütern bin ich reichlich ausgestattet
und mit Lob für meine vollkommene Würde,
so dass mein kraftvoller Einfluss
alle Reichtümer umfasst.
Auch ist der allerhöchste Gott

Mittwoch, 19. November 2014

1911-1920

daz von ir werdekeite
ir iegelîchiu seite.
Dô sprach Jûnô: ›daz sol geschehen!
ich wil zem êrsten besehen,
ob ich den prîs behaben müge.
sît daz geschriben âne trüge
ist an den apfel wol getân,
daz in diu beste müeze hân,
diu komen sî zer hôchgezît;
sô wirt er âne widerstrît

dass eine jede von ihnen
von ihrer Würde berichten soll,
da sagte Juno: ›So soll es geschehen!
Ich will als erste sehen und prüfen,
ob ich den Siegespreis behaupten kann.
Da das Geschriebene am Apfel
ohne Zweifel schön verfertigt wurde,
so dass ihn die Beste derer,
die zum Fest gekommen sind, haben muss,
so wird er denn ohne Widerstand

Dienstag, 18. November 2014

1901-1910

verrihten sîner vrâge.
si leiten im dô lâge
mit sprüchen und mit worten,
des gap er z’allen orten
sô kündeclîche antwürte,
daz man dô balde spürte,
daz er was hübesch unde wîs.
nû der getriuwe Pârîs
zuo den frouwen dar gesaz
und er geredet hete daz,

den ihm gestellten Fragen Genüge zu tun.
Sie legten ihm die Situation dar
mit kunstvollen und einfachen Worten.
Darauf gab er stets
so kluge Antworten,
dass man dort bald merkte,
dass er höfisch und scharfsinnig war.
Als sich nun der getreue Paris
zu den Damen gesetzt hatte
und er das gesagt hatte,

[Ich vermute, dass mit der Formulierung »sprüchen und worten« unterschiedliche Grade an sprachlich-rhetorischem Aufwand gemeint sind.]

Montag, 17. November 2014

1891-1900

sô rehte hôher dinge
und man dem jungelinge,
der ein kint betalle schein,
getriuwe, daz er über ein
bringen möhte ir drîer strît.
er wart dur wunder an der zît
mit liehter ougen blicke
beschouwet dâ vil dicke,
als man die werden schouwen sol.
ouch kunde er iegelichen wol

so ganz außerordentliche Dinge verlangt wurden
und dass man dem Jüngling,
der noch ganz ein Kind zu sein schien,
zutraute, dass er den Streit der
drei wieder einrenken könne.
In jenem Moment betrachtete man ihn
verwundert, sehr genau
und mit strahlenden Augen,
so wie man die, die vornehm sind, anzuschauen hat.
Auch war er ohne Weiteres gegenüber allen in der Lage,

Freitag, 14. November 2014

1881-1890

Pârîs die rede leite für
den frouwen rîch von hôher kür,
die si vernâmen gerne.
süez als ein mandelkerne
sin edel sprâche dûhte;
dâ bî sîn varwe lûhte
glanz unde lieht dar under.
die göte nam des wunder
und die rîchen künge wert,
daz an den knappen wart gegert

Paris trug die Rede den
mächtigen und edlen Damen vor,
die sie gerne hörten.
Seine herrlichen Worte schienen
süß wie ein Mandelkern zu sein;
auch leuchtete er währenddessen
hell und strahlend.
Die Götter wunderten sich
und auch die mächtigen, angesehenen Könige,
dass von dem jungen Mann

[Wie genau das »dar under« zu verstehen (und zu übersetzen) ist, ist mir nicht klar.]

Donnerstag, 13. November 2014

1871-1880

nâch rehte hie gerihten.
swer kriege sol verslihten,
der muoz die sache wizzen;
dar umbe sint geflizzen,
daz iuwer iegelich enbar
ir leben und ir wirde gar,
dur daz ich wizzen müge dâ bî,
wem under iu gemæze sî
der apfel rîlich unde wert,
des iuwer drîer wille gert.‹

hier rechtsgemäß richten.
Jeder, der Streit zu schlichten hat,
der muss die Sache kennen;
eine jede von euch sei deshalb darum bemüht,
ihr Leben und ihre Würde
vollständig darzustellen,
so dass ich dadurch erfahren kann,
wem von euch der herrliche und kostbare
Apfel gebührt,
den ihr alle begehrt.‹

Mittwoch, 12. November 2014

1861-1870

›ir werden vrouwen alle drî,
sît daz an mich verlâzen sî
der kriec und ich den scheiden sol,
sô tuont durch iuwer tugent wol
und erfüllent mîne gir!
sag iuwer iegelîchiu mir,
waz an si wirde sî geleit.
ir aller beste werdekeit
entslieze si mir âne haz:
sô kan ich, weizgot, deste baz

›Ihr vornehmen Damen – alle drei –,
da der Streit mir übergeben ist
und ich ihn schlichten soll,
so handelt gut, wie es eurer Tugend entspricht,
und erfüllt mein Begehren!
Eine jede von euch sage mir,
von welcher Würde sie umfangen ist.
Ihre allerhöchste Ehre
lege sie mir ohne Widerwillen offen.
So kann ich, weißgott, umso besser

[Das »an si geleit« durch »umfangen« zu übersetzen, mag vielleicht etwas zu ›stark‹ sein (in dem Sinne, dass »umfangen« mehr Bedeutungsebenen und Bildlichkeit mit sich bringt), scheint mir hier aber sinnvoll, um heutige LeserInnen mit der Vorstellung einer den Göttern gegebenen Würde vertraut zu machen.]

Dienstag, 11. November 2014

1851-1860

in schimpfe, noch in spottes wîs,
dô nam der hübsche Pârîs
sich der frouwen krieges an,
sô daz er drunder obeman
und ein scheider wolte sîn.
er saz dâ nider zuo den drîn,
die des krieges pflâgen
und sich mit vlîze wâgen
ûf den erwelten prîsant.
wîslîche sprach er alzehant:

nicht verhöhnen oder verspotten sollten,
da kümmerte sich der wohlgeratene Paris
um den Streit der Frauen
und wollte ihnen ein Schiedsrichter
und Vermittler sein.
Es setzte sich dort hin zu den Dreien,
die im Streit waren
und eifrig nach dem
erlesenen Geschenk strebten.
Weise war, was er sogleich sagte:

Montag, 10. November 2014

1841-1850

sül under uns der besten geben,
sô wir gesagen unser leben
und der hœhsten wirde ein teil.
er sol vernemen durch sîn heil,
waz an uns drîn von êren lige,
und diu dar under hie gesige,
diu neme den apfel ûz erkorn
von sîner hende ân allen zorn.‹
Nû daz der jungelinc gesach,
daz disiu rede niht geschach

der Besten unter uns geben soll,
wenn wir von unserem Leben
und von der höchsten Würde etwas erzählt haben.
Ihm zur Freude soll er hören,
welches Ansehen uns dreien zukommt.
Diejenige, die dabei hier den Sieg erringt,
die nehme ohne jeden Zorn
aus seiner Hand den auserwählten Apfel.‹
Als nun der junge Man sah,
dass diese Aussagen ihn

Freitag, 7. November 2014

1831-1840

wie swîgent ir sô stille!
ist ez niht iuwer wille,
daz er iuch alle drî verneme,
und der dar under wol gezeme
der apfel und der prîsant,
daz in diu habe von sîner hant
ân allen kriec und âne haz?‹
›ja,‹ sprâchen si, ›wir loben daz
gemeine und algelîche,
daz er den apfel rîche

Warum schweigt ihr so?
Wollt ihr denn nicht,
dass er euch alle drei vernehme
und dass diejenige von euch, die würdig ist,
den Apfel und das Geschenk,
aus seiner Hand bekomme –
ohne allen Streit und ohne Hass?‹
›Ja‹, sagten sie, ›wir sind
alle gemeinsam dafür,
dass er den herrlichen Apfel

Donnerstag, 6. November 2014

1821-1830

den liuten algemeine,
daz man dîn herze reine
sol iemer hôhe prîsen.
wilt dû von kriege wîsen
die frouwen, die des apfels gernt,
sô solt dû wizzen, daz si wernt
vil hôhes lobes dînen lîp.
dich êrent drumbe reiniu wîp
und aller werden göte schar.
wâ nû, ir frouwen, sprechent dar!

gegenüber allen Leuten,
so dass man dein reines Herz
für immer lobpreisen muss.
Willst Du die Damen, die den Apfel begehren,
vom Streiten abbringen,
dann musst du wissen, dass sie dich
mit sehr großem Lob auszeichnen.
Dich ehren darum die sittsamen Frauen
und die Schar aller edlen Götter.
Wie sieht es nun aus, ihr Damen, sagt an!

Mittwoch, 5. November 2014

1811-1820

swer ich dir einen tiuren eit,
daz ich dur die gerehtekeit,
der ein wunder an dir lît,
dich hân besant zer hôchgezît,
noch anders durch dekeiniu dinc.
dû bist ein wîser jungelinc,
daz weiz ich und erkenne wol.
swaz krieges ieman scheiden sol,
den kanst dû wol verslihten
und sô nâch rehte rihten

schwöre ich Dir einen hohen Eid,
dass ich dich wegen des Gerechtigkeitssinns,
den du in unglaublich hohem Maße besitzt,
zum Fest habe holen lassen
und nicht wegen irgendeiner anderen Sache.
Du bist ein weiser junger Mann,
das weiß ich und sehe ich genau.
Egal welchen Streit jemand lösen muss,
du kannst ihn gewiss schlichten
und auf diese Weise gerecht richten,

Dienstag, 4. November 2014

1801-1810

mit rehten und mit wâren zügen,
den künige niht gescheiden mügen,
noch vil manic wîser got?
diu rede ist wærlich iuwer spot
und mac wol sîn dur schimpf getân.
möht ich daz ê gewizzen hân,
so enwær ich niht bekomen her.‹
›nein, zwâre,‹ sprach her Jûpiter,
›ich wolte ungerne schimpfen dîn.
bî der vil hôhen sælde mîn

mit rechtmäßigen und zuverlässigen Zeugen,
den weder Könige beilegen können,
noch gar viele der weisen Götter?
Wahrlich, mit dieser Ansprache wollt ihr mich verspotten
und sie mag nur gehalten worden sein, um zu scherzen.
Hätte ich das früher gewusst,
so wäre ich nicht hierher gekommen.‹
›Aber nein,‹, sagte Herr Jupiter,
›überhaupt nicht wollte ich dich verspotten 
Bei all meinem Heil

Montag, 3. November 2014

1791-1800

wan ich der jâre bin ein knabe
und ich der witze niht enhabe,
daz ich gescheiden müge den strît,
der hie ze hove an dirre zît
ist umb den apfel schœne.
daz iuch frô Sælde krœne
vor allen hôhen wirten!
wer gæbe eim armen hirten
alsô bescheidenlichen sin,
daz er den kriec hie leite hin

bin ich doch im Knabenalter
und bin ich doch nicht verständig genug,
um in der Lage zu sein, diesen Streit zu schlichten,
der sich hier am Hof zu dieser Zeit
um den schönen Apfel begeben hat.
Die Herrin des Heils möge euch
als höchsten von allen bedeutenden Gastgebern krönen!
Wer gäbe einem armen Hirten
so klar und deutlich die Absicht,
dass er den Streit hier beilege

[Wie genau der Vers 1799 zu verstehen ist, ist mir nicht klar.]

Samstag, 1. November 2014

1781-1790

vür sich dô bî der stunde.
ûz einem wîsen munde
sprach bescheidenlichen er:
›herr unde got, her Jûpiter,
diz wære ein michel ungelimpf
und müeste sîn der liute schimpf,
daz ir ze hôhen sachen
mich nidern und mich swachen
kneht hie ziehen wolten.
niht spotten ir mîn solten,

in diesem Moment vor sich nieder.
Aus weisem Mund
sprach er umsichtig und klug:
›Herr Jupiter, Herr und Gott,
das wäre sehr unangemessen
und müsste Gegenstand des Spotts der Leute sein,
dass ihr mich gewöhnlichen und geringen Jungen
hier zu bedeutenden Angelegenheiten
heranziehen wollt.
Ihr solltet mich nicht verhöhnen,