Freitag, 19. Dezember 2014

2081-2090

mit êren alles guotes hort.
daz ertrîch und der himel dort
mit künsten wurden ûf geleit;
si mahte gotes wîsheit
und allez, daz in beiden ist.
jô füeget hôher künste list,
daz von ir wahset rîcher solt.
mit listen wirt gemachet golt,
und hât daz golt der tugent niht,
noch der krefte in sîner pfliht,

jeden Schatz vergolden.
Die Erde und der Himmel dort,
die wurden mit Kunstfertigkeit erschaffen;
Gottes Weisheit machte sie
und alles, was in beiden ist.
Ja, das Wissen hoher Künste ermöglicht,
dass von beiden großer Gewinn entsteht.
Durch Wissen wir Gold gemacht
und das Gold hat nicht die Fähigkeit,
noch die Kräfte zur Verfügung,

Donnerstag, 18. Dezember 2014

2071-2080

rîlichen hort in sîne pflege,
dur daz er sîn hüet alle wege,
der wil sîn guot alsô bewaren,
als ob er einen hieze varen
ân alliu ruoder ûf daz mer
und in mit schatze sunder wer
dâ lieze in einem kiele sweben.
man sol mir disen apfel geben,
den kan ich wol verschulden.
wîsheit mac übergulden

einen reichen Schatz anvertraut,
damit er ihn tagein-tagaus behüte,
der will seinen Besitz so sichern
als wenn er jemanden
ohne Ruder auf das Meer schicken würde
und ihn dort mit Reichtümern, aber ohne Waffen zur Verteidigung,
in einem Kahn treiben ließe.
Mir muss man diesen Apfel geben.
Den hab ich wahrlich verdient.
Weisheit kann mit Ansehen

Mittwoch, 17. Dezember 2014

2061-2070

gewinnet wol êr unde guot.
ob er die gülte sîn vertuot,
er kan wol ander gelt bejagen:
sô muoz der tumbe rîche tragen
bresten alsô lange vrist,
swenn er von guote komen ist
und er sîn gelt verliuret.
gehœhet und getiuret
ist edel sin für allez guot.
swer einem sinnelôsen tuot

kann doch wohl mit seiner Weisheit Ansehen und Besitz erlangen;
und wenn er die Quellen seines Einkommens vertut,
kann er leicht andere Geldquellen auftun.
Demgegenüber muss der, der reich und dumm ist, einen Schaden
über lange Zeit tragen,
wann auch immer er Besitz verloren hat
und seines Geldes verlustig ging.
Erhabener und herrlicher
ist edle Gesinnung als aller Besitz.
Wer auch immer jemandem, der nicht ganz bei Sinnen ist,

Dienstag, 16. Dezember 2014

2051-2060

daz wil ich dir gedingen an.
witz ist ein hort, der niht enkan
geroubet werden, noch verstoln.
kunst mac wol eine wîle doln
an guote bresten unde schaden,
daz aber si mit nôt geladen
sî ze langen stunden,
des hab ich niht befunden
und ist mir selten worden schîn.
der wîse mit dem liste sîn

Das erwarte ich von dir.
Wissen und Verstand ist ein Schatz, der weder
geraubt noch gestohlen werden kann.
Können und Kunstfertigkeit mögen wohl eine zeitlang
Mangel und Schaden an Gut und Vermögen erleiden,
dass sie aber über längere Zeit in eine
Notlage geraten,
das habe ich bisher nicht vernommen
und auch noch nie gesehen.
Der, der weise ist,

[Ich gehe davon aus, dass es sich beim Vers 2059 um eine »Litotes« handelt, also um eine Untertreibung.]

Montag, 15. Dezember 2014

2041-2050

der sinne niht enhæte.
schaz unde rîch geræte
bedarf wol guoter witze.
swie kunst vil ofte sitze
rîchtuomes unde gülte vrî,
sô wont ir doch diu sælde bî
und alsô ganzer wirde lôn,
daz von ir sprichet Salomôn,
wîsheit sî bezzer denne golt.
den apfel dû mir lâzen solt!

dem es an Verstand fehlt.
Für Reichtum und wertvollen Hausrat
ist sicherlich eine klare Vernunft notwendig.
Auch wenn die Weisheit häufig
ohne Einkommen und Reichtümer auskommen muss,
hat sie doch Anteil am göttlichen Heil
und sie erhält auf diese Weise den Lohn einer uneingeschränkten Würde,
von der Salomon sagt,
dass Weisheit besser sei als Gold.
Den Apfel musst du mir lassen!

Samstag, 13. Dezember 2014

2031-2040

wan si mizzet allen hort.
si muoz beschrôten ime sîn ort
und nâch der mâze rîzen.
swer sich wil guotes vlîzen,
der muoz ouch haben liste,
dâ mite er guot gefriste
und ez beschirmen künne.
ein man wol guot gewünne,
het er eht sinnerîchen muot;
sô möhte ein man verlieren guot,

weil es jeden Schatz misst.
Es muss ihm seinen Raum zuweisen
und nach dem richtigen Maß einzeichnen.
Wer auch immer sich um Besitz bemüht,
der muss auch über Weisheit verfügen,
so dass er damit den Besitz erhalten
und beschirmen kann.
Jemand kommt wohl leicht zu Besitz,
wenn er verständig ist;
ebenso verliert jemand leicht Besitz,

Donnerstag, 11. Dezember 2014

2021-2030

ûf die götinne rîch erkant.
›sich‹, sprach si wider si zehant,
›wie gar dîn kriec ist üppeclich,
dû lâ dîn strîten wider mich,
dîn rede hilfet niht ein ei;
wan allez guot ist gar enzwei,
swâ man niht rehter witze enpfliget.
an guote wîser man gesiget
und ist gewaltic über ez.
kunst hât des guotes winkelmez,

an die Göttin, die für Reichtum bekannt war.
›Schau‹, sagt sie sogleich zu ihr,
›schon weil deine Angriffe grundlos und unnütz sind,
lässt Du es sein, mit mir zu zanken;
dein Vortrag hilft dir nicht die Bohne,
denn aller Besitz ist ganz und gar nichtig,
wo auch immer man sich nicht mit rechter Weisheit um ihn kümmert.
Ein weiser Mann erringt Besitz und Güter
und weiß mit ihnen umzugehen.
Das Wissen ist das Winkelmaß des Besitzes,

[Das semantische Spektrum von »üppeclich« versuche ich mit »grundlos und unnütz« zu umfassen.]

Mittwoch, 10. Dezember 2014

2011-2020

und sînen hort besitze.
wie künde mir dîn witze
den apfel wol enphlœhen?
mîn name sol sich hœhen,
und hie geprîset werden
vür elliu wîp ûf erden.‹
Pallas der worte niht vertruoc.
si muote sêre und übel gnuoc,
daz man die wîsheit sô beschalt.
mit rede wart diu wîse balt

und über den Reichtum verfüge.
Wie könnte mir denn deine Schlauheit
den Apfel rauben?
Mein Name soll sich erheben
und hier – noch vor allen anderen
Frauen auf der Welt – gerüht werden.‹
Pallas ertrug diese Bemerkungen nicht.
Sie war sehr genervt und nahm das übel,
dass man Weisheit und Klugheit derart beschimpfte.
Sie, die weise war, richtete sich mit mutigen Worten

[Die Passage ist vielleicht etwas »flapsig« geraten.]

Dienstag, 9. Dezember 2014

2001-2010

verdirbet witze und êre.
man lêre, swaz man lêre,
man künne, swaz man künne:
guot ist ein houbetwünne
wîstuomes unde künste gar.
dâ von dû sitelîche var
und enkriege niht ze vil!
den apfel ich behaben wil;
wan ich mit êren hie gesige,
sît daz ich alles guotes pflige

gehen Wissen und Ansehen zugrunde.
Ganz gleich, was man erzählt, man möge es weiterhin erzählen;
und ganz gleich, was man weiß, man möge es weiterhin wissen;
Besitz ist eine der größten Freuden
der Weisheit und aller Kunstfertigkeit.
Verhalte dich deshalb gesittet
und streite nicht zu viel!
Den Apfel will ich haben,
weil ich ehrenhaft hier siege,
da schließlich ich für allen Besitz zuständig bin

Montag, 8. Dezember 2014

1991-2000

und allen sînen houbetlist,
ob er dâ bî verarmet ist,
er dunket ein unwerder man.
swie lützel aber einer kan,
der guotes wirt gewaltic,
sîn wirde ist manicvaltic
und êret in man unde wîp.
gebreste künsterîchen lîp
kan wîsen z’ungewinne.
in armer liute sinne

und über alle seine höchsten Künste verfügen, –
wenn er zugleich arm ist,
hinterlässt er den Eindruck, ein unbrauchbarer Mann zu sein.
Aber: Wie wenig auch immer einer kann,
der über Besitz und Güter verfügt, –
seine Würde ist vielfältig
und er ist angesehen bei Männern und Frauen.
Mängel talentierter Leute
können Schaden verursachen.
Im Denken und in der Geisteshaltung armer Leute

[Die Konstruktion 1998f. ist mir nicht ganz klar.]

Freitag, 5. Dezember 2014

1981-1990

lâ dînen kriec belîben!
ez lît vor allen wîben
an mir der sælden ursprinc.
mîn schaz erwirbet alliu dinc,
des dîn witze niht entuot.
waz hilfet wîsheit âne guot
und alliu meisterlîchiu kunst?
rîchtuom hât werder liute gunst
und ist der êren überhort.
künd einer Salomônes wort

lass dein Streiten bleiben!
Der Ursprung des Heils liegt
in mir – und dann kommen alle anderen Frauen.
Mein Schatz erwirbt alle Dinge,
im Gegensatz zu deinem Wissen.
Was bringt Weisheit ohne Besitz
und alles meisterliche Können?
Reichtum gewinnt die Gunst edler Leute
und ist der höchste Schatz des Ansehens.
Könnte jemand reden wie Salomon

Donnerstag, 4. Dezember 2014

1971-1980

daz lâ dir wol gevallen,
sît daz ich ob den allen,
die zuo der hôchgezît sint komen,
hân witze und êre an mich genomen.‹
Jûnô diu wart des ungemeit,
daz mit ir umb den apfel streit
Pallas, der künste meisterîn.
dâ von des hordes künigîn
sprach ir aber schiere zuo:
›gespil, die rede fürder tuo,

das lass Dir gut gefallen,
denn mehr als alle anderen,
die zum Fest gekommen sind,
habe ich Wissen und Ansehen für mich erworben.‹
Juno war verärgert darüber,
dass Pallas, die Meisterin der Künste,
mit ihr um den Apfel stritt.
Deshalb sagte die Königin der Schätze
sogleich zu ihr:
›Liebste, lass das Reden sein,

Mittwoch, 3. Dezember 2014

1961-1970

gewinnet man rîlîche tugent.
mir nîget alter unde jugent
und êret mich wîp unde man.
swaz man ouch hôher witze kan
ertrahten und erdenken,
daz muoz ich allez schenken
ûz mîner gnâden vazze,
dâ von dû niht enhazze,
ob mir der apfel wol gezeme.
daz ich in hie ze râme neme,

gewinnt man herrliche Tugend.
Vor mir verneigen sich Alte und Junge
und es ehrt mich Frau und Mann.
Und was man an hohem Wissen
nur ergründen und erdenken kann,
das alles schenke ich
aus dem Füllhorn meiner Gnade;
Deshalb darfst du es nicht ungern sehen,
wenn der Apfel zu mir gehört.
Dass ich ihn hier als Ziel wähle,

[Die Verse 1968/69 sind mir nicht hunderprozentig klar.]