Mittwoch, 30. September 2015

3731-3740

dâ niht wan megede inne lebent
und die besten pheller webent,
die man ûf erden ie gewan.
der samît als ein rôse bran
in einem rôten glaste,
dar ûz dem hôhen gaste
was sîn wâpencleit gesniten.
ein wunder was dar în gebriten,
daz diu Syrêne heizet
und kiele ûf schaden reizet

in dem ausschließlich Frauen leben
und die besten Stoffe weben,
die man jemals auf Erden bekommen konnte.
Der Samt lodert wie eine Rose
in rotem Glanz.
Das Wappenkleid des hohen Gastes
war daraus geschnitten.
Ein Wunderding war dort hinein gewebt,
das Syrene heißt
und das Bug und Kiel anlockt – zu deren Verderben –

[Ich übersetze die »Kiele« mit »Bug und Kiel«, weil mir die Übersetzung »Kiele« zu ausgefallen zu sein scheint.]

Dienstag, 29. September 2015

3721-3730

wâren si gemachet.
diu plate niht geswachet
wart von swertes orte.
kein lanze si durchborte
mit ir spitze sinewel,
wan des kocatrillen vel
kein wâfen kan versnîden.
ein wâpencleit von sîden
het er dar über an genomen,
daz was von einem lande komen,

waren sie gemacht.
Der Brustharnisch konnte durch
Schwertstöße nicht beschädigt werden.
Keine Lanze konnte ihn
mir ihrer runden Spitze durchbohren,
weil das Fell des Krokodils
von keiner Waffe zerschnitten werden kann.
Ein siedenes Wappenkleid
hatte er darüber gezogen.
Das kam aus einem Land,

[»ort« meint natürlich eigentlich die Spitze; aber man stößt ja schließlich mit der Spitze…]

Montag, 28. September 2015

3711-3720

fuorte er eine blaten drobe,
diu was gesniten wol ze lobe
ûz eines kocatrillen hût.
diu schein grüen als ein venchelkrût:
alsô was si geverwet
und alsô wol gegerwet,
daz si was linde unde weich;
ir glanzen blech und ir geleich
beliben ungeschertet.
ûz stahele wol gehertet

der in allen Teilen mit großer Sorgfalt gefertigt war.
Geschnitten war er auf hervorragende Weise
aus der Haut eines Krokodils.
Die leuchtete grün wie Fenchelkraut.
Sie war so gefärbt
und so gut gefertigt,
dass sie glatt und weich war.
Ihr schimmernder Panzer und ihre Gelenke
bleiben ohne Schaden.
Aus gut gehärtetem Stahl

[Für »gerwen« geben die Wörterbücher »machen, bereiten, zubereiten« u.ä. an. Für V. 3718 wird im Eintrag »blech« im BZM »ganzen« statt »glanzen« zitiert.]

Freitag, 25. September 2015

3701-3710

bereit nâch wunsche wæren.
man sach die tugentbæren
gezieret rîten ûf den plân.
Hector der hete an sich getân
von stahelringen ein gewant:
daz beste, daz ie wart erkant
über al des landes creiz,
ez was geliutert unde gleiz
alsam ein spiegel niuwevar.
geworht mit hôhem vlîze gar

ideal vorbereitet zu sein.
Man sah die Vortrefflichen
herrlich ausgestattet auf den Platz reiten.
Hector hatte ein Gewand
aus Stahlringen angelegt,
das beste, das je im gesamten
Land gesehen worden war.
Das Metall war rein und es glänzte
wie ein neu-leuchtender Spiegel.
Er trug einen Brustharnisch darüber,

Donnerstag, 24. September 2015

3691-3700

mit im dâ kempfen wolte.
er enbôt im, daz er solte
bereiten sich ze strîte dâ.
daz selbe tete er ouch iesâ.
Alsus wart under diesen zwein
der strît getragen über ein
mit helfelicher boteschaft.
si wurden beide vlîzhaft
dar ûf in kurzer wîle,
daz si ze kampfes bîle

mit ihm hier zu kämpfen.
Er ließ ihm sagen, dass er sich hier
vorberiten sollte zum Kampf–
und er selbst machte sich auch umgehend fertig.
Auf diese Weise wurde von diesen beiden
der Kampf ganz und gar
durch mithelfende Botschaften zustande gebracht.
Beide hatten es eilig,
um – in kurzer Zeit –
zum Kämpfen 

[Ich bin mir sehr unsicher, ob ich den Vers 3696 richtig verstehe. »über ein« meint in der Hauptbedeutung »ganz und gar«. Wie das hier mit dem »tragen« zusammenhängt, ist mir nicht ganz klar. Für »bîle« gibt das neue Mittelhochdeutsche Wörterbuch als dritte Bedeutung (mit Verweis auf unter anderem diese Stelle) an: »Kampf (mit Waffen oder mit Worten)«.]

Mittwoch, 23. September 2015

3681-3690

Pêleus des muotes,
daz er dekeines guotes
dar umbe wolte hân gegert,
daz er der êren wære entwert,
daz er gevohten hæte niht.
sîn herze truoc die zuoversiht,
daz er dâ solte prîs bejagen,
dâ von hiez er hin wider sagen
dem werden Hectorî, daz er
mit willecliches herzen ger

Peleus so gesinnt,
dass er keine Reichtümer dafür
hätte annehmen wollen,
dass ihm, weil er nicht gekämpft hätte,
das Ansehen genommen wäre.
Im Herzen trug er die Hoffnung,
dass er hier und jetzt Ruhm und Ehre erjagen müsse.
Deshalb hieß er dort als Erwiderung
dem hochgeschätzten Hector ausrichten, dass es
ihm ein zwangloser Herzenswunsch sei,

Dienstag, 22. September 2015

3671-3680

her Jûpiter aleine,
dar umbe daz der reine,
der sîner tohter vriedel was,
an sich den willen ie gelas,
daz er ze kampfe wolte komen.
er hete in gerne drabe genomen
mit worten und mit süezer bete,
dur daz er in beschirmet hete
vor schedelicher swære.
dô was der tugentbære

war aufgebracht und betrübt,
weil der Vollkommene,
der der Bräutigam seiner Tochter war,
überhaupt auf die Idee gekommen war,
sich einem Kampf stellen zu wollen.
Er hätte ihn gerne mit Worten
und mit liebenswerten Bitten zurückgehalten,
um ihn vor schädlichem Leid
zu bewahren.
Doch war der edle, kühne

Montag, 21. September 2015

3661-3670

ist worden alsô rehte wert,
daz man durch in hie strîtes gert,
sô wil ich kempfen ouch umb in.
in ziuhet hie mit kampfe hin
Hector eintweder, oder ich.
nû dar! man heize balde mich
bereiten ûf den grüenen plân:
ich wil in kampfes hie bestân.‹
Diu rede in allen wol geviel,
wan daz in ungemüete wiel

einen solchen Wert erlangt hat,
dass man um ihn hier in den Kampf ziehen will,
so will ich denn auch um ihn kämpfen.
Entweder wird Hector ihn hier, nicht ohne
zu kämpfen, mit sich nehmen – oder ich.
Los geht’s! Man möge mich bald beauftragen,
mich auf dem grünen Platz vorzubereiten:
ich will hier gegen ihn im Kampf antreten.‹
Diese Rede gefiel ihnen allen gut,
einzig nur Herr Jupiter

Freitag, 11. September 2015

3651-3660

sol man uns hiute beide
lân strîten ûf der heide,
als ez zwein kempfen wol gezeme.
swer under uns den sic geneme.
und den man hœre prîsen,
der ziehe an sich Pârîsen
und gebe den reinen, wol gesiten
dem herren, durch den er gestriten
alsô vermezzenlichen habe.
sît daz der hôchgeborne knabe

soll man heute uns beide
auf den Wiesen kämpfen lassen
soll man uns beide heute
auf der Heide kämpfen lassen,
wie es sich für zwei Kämpfer gehört.
Wer auch immer von uns beiden gewinnt
und dafür gerühmt wird,
der nehme Paris zu sich
und gebe den makellosen, wohlerzogenen
an den Herrn, für den er
derart unverzagt gekämpft hat.
Weil der hochgeborne junge Mann

Donnerstag, 10. September 2015

3641-3650

noch hiute sol an ritterschaft;
wan ich hân willen unde kraft,
diu beide guot ze strîte sint.
ouch ist er selbe noch ein kint,
der kempfen hie nâch prîse wil:
dâ von ist mir des niht ze vil,
daz ich mit im ze strîte kome.
ez sî mîn schade, ez sî mîn vrome,
ich wil in kampfes hie gewern.
mit scharpfen swerten und mit spern

nicht zum Schaden gereichen,
denn ich habe den Willen und die Kraft –
und beides ist gut für den Kampf.
Auch ist er selbst noch ein Kind,
der hier um Lob und Ansehen kämpfen möchte.
Darum passt das für mich,
dass ich mit ihm kämpfen werde.
Ob ich verlieren, ob ich gewinnen,
ich will hier zum Kampf bereit sein.
Mit scharfen Schwerter und mit Lanzen

Mittwoch, 9. September 2015

3631-3640

Pârîsen welle gerne hân,
sô lâze er mich den hie bestân,
der umb in kempfen welle.
gewinne ich daz gevelle
alsô, daz ich den sic behabe,
sô belîbet uns der knabe,
der beide schœne ist unde zier.
ich bin ein junger betschelier
und hân gevohten selten.
des ich ouch niht engelten

gerne Paris haben möchte,
soll er mich hier gegen den antreten lassen,
der für ihn kämpfen will.
Bewältige ich den Kampf
so, dass ich Sieger bin,
dann bleibt bei uns der junge Mann,
der zugleich schön ist und imposant.
Ich bin ein junger, unerfahrener Ritter
und habe wenige Kämpfe ausgefochten.
Das soll mir hier und heute bei der Ritterschaft

Dienstag, 8. September 2015

3621-3630

komen ist zer hôchgezît,
der enkeiner sol den strît
sô rehte billîch an sich nemen,
als ich, wan ez muoz mir gezemen
von wâren schulden hiute.
man sol mich lân der briute
geniezen und der werdekeit,
daz disiu hôchgezît geleit
wart dur mînen willen her.
sît daz mîn swæher Jûpiter

zur Hochzeit gekommen ist –
keiner von ihnen hat das Recht,
zu dem Zweikampf anzutreten,
außer mir, weil es mir gebührt
und es mir hier und heute fürwahr eine Verpflichtung ist.
Mir muss die Hochzeitsfeier zum Nutzen gereichen
und die Würde muss man mir zugestehen,
wurde doch dieses Fest um meinetwillen
hier ausgerichtet.
Weil mein Schwiegervater, Jupiter,

[Was genau ist mit »wâren schulden« gemeint? Ist das ein Begriff aus der Rechtssprache?]

Montag, 7. September 2015

3611-3620

Diu rede wart dô kunt getân
den göten allen ûf dem plân
und ouch ir ritterschefte wert.
des wart von gnuogen dâ gegert,
daz man si lieze strîten.
vil maniger bî den zîten
gevohten gerne hæte alsus.
dô sprach der werde Pêleus,
der briutegoum des hoves was:
›swaz ritter ûf daz grüene gras

Was er gesagt hatte, wurde daraufhin
allen Göttern auf dem freien Platz
und auch ihren vortrefflichen Rittern bekannt gemacht.
Nicht wenige von ihnen wollten,
dass man sie kämpfen ließe.
Recht viele hätten damals
gerne ebenso gekämpft.
Da sprach der angesehene Peleus,
der am Hof der Bräutigam war:
›Welcher Ritter auch immer auf das grüne Gras

Freitag, 4. September 2015

3601-3610

des grimmen kampfes wielten
und daz die ritter hielten
ze beiden sîten stille;
ouch wære daz sîn wille,
swer den prîs dar under
züge an sich besunder
und dâ bestüende sigehaft,
daz der und sîn geselleschaft
Pârîsen, den vil süezen knaben,
dâ solte ân allen kriec behaben.

des zornigen Kampfes sich annähmen
und dass die Ritter sich
auf beiden Seiten ruhig verhielten;
auch wollte er, dass,
wer auch immer von beiden
sich den Triumph sicherte
und dort als Sieger vom Platz gehe,
dass der und seine Partei
dann – ohne allen Streit – Paris,
den sehr entzückenden Knaben, haben sollte.

Donnerstag, 3. September 2015

3591-3600

des kampfes wolte frîen.
sus hiez er lûte schrîen
in der werden göte schar,
ob under in wær ieman dar
zuo der hôchgezîte komen
sô kürlich und als ûz genomen,
daz er mit im aleine
vür beide schar gemeine
getörste vehten einen strît,
sô daz si zwêne bî der zît

von dem Kampf nicht Abstand nehmen werde.
So ließ er denn laut ausrufen
in der angesehenen Götterschar,
ob dort unter ihnen jemand
zu dem Fest gekommen sei,
der auserkoren und so hervorragend sei,
dass er sich traue,
mit ihm allein, stellvertretend für beide Lager,
einen Kampf auszutragen,
so dass sie beide alsbald

Mittwoch, 2. September 2015

3581-3590

den sun, daz half in cleine,
wan Hector was sô reine
und alsô rehte küene,
daz ûf dem plâne grüene
was kein ritter im gelîch.
des lîbes und des muotes rîch
was der vil hôchgeborne.
dar umb in sînem zorne
sprach er zuo dem vater dô,
daz er sich weder sus noch sô

den Sohn bedrängte, es half ihm nichts,
denn Hector war so treuherzig
und fürwahr, er war so kühn,
dass kein Ritter auf dem grünen Platz
ihm gleichkam.
Körper und Geist des so Hochgebornen
waren stark.
Deshalb sagte er dann,
seinen Zorn zeigend, zu seinem Vater,
dass er, es komme, was da wolle,

Dienstag, 1. September 2015

3571-3580

und an jâren noch die tugent,
daz er dâ strite in blüender jugent
vür alsô manigen hôhen man.
der rede treip ein wunder an
der edel künic wider in.
er leite muot, herz unde sin
dar ûf in allen enden,
daz er in möhte erwenden
des kampfes an der selben stat.
swie vil der vater dô gebat

Manneskraft und Alter,
um dort in blühender Jugend
für so viele hohe Männer zu kämpfen.
Für diese Vortrag, den er ihm hielt,
legte sich der edle König mächtig ins Zeug.
Er setzte so gut er konnte,
Willen, Herz und Verlangen daran,
ihn davon abzuhalten,
dort zu kämpfen.
Wie sehr ihn der Vater dort auch

[Ist »mächtig ins Zeug legen« eine gute Übersetzung für »ein wunder trîben an«?]