Montag, 29. Februar 2016

4611-4620

behalten und gefristen;
mit keiner hande listen
mac er anders sich genern,
denn ob er sich des kan erwern,
daz er ze Troye niht envert,
dâ manger sînen lîp verzert.‹
Die geste michel wunder
der rede nam besunder
und dirre prophêzîen.
swær unde leides frîen

bleiben und alt werden.
Mit keinem anderen Plan
wird er sich ansonsten schützen können,
wenn es ihm nicht gelingt,
nicht nach Troja zu reisen,
wo so mancher sein Leben verausgaben wird.‹
Die Gäste wunderten sich sehr,
nicht nur über die Ansprache,
sondern auch über diese Prophezeiung. 
Die angesehene Braut begann, 

Freitag, 26. Februar 2016

4601-4610

wirt von sîner krefte.
mit sîner meisterschefte
beginnet er ir an gesigen
und muoz ouch denne tôt geligen
vor der veste wunneclich.
künd aber daz gefüegen sich,
daz er niht kæme zuo der stift,
diu Troye heizet an der schrift
und dâ sô manger wirt erslagen,
sô möhte er sînen lebetagen

durch seine Stärke erobert wird.
Mit seiner überlegenen Kraft
wird er sich daran machen, sie zu bezwingen,
und wird auch dann vor der wunderschön anzusehenden,
befestigten Stadt den Tod empfangen.
Würde es sich allerdings einrichten lassen,
dass er nicht zu dieser Stadt käme,
die in der Schrift Troja heißt
und bei der so mancher erschlagen wird,
so könnte er lebendig

Donnerstag, 25. Februar 2016

4591-4600

ze jungest ime den schaden birt,
daz er ze Troye erslagen wirt
und er dâ leider tôt gelît.
sich hât zuo dirre hôchgezît
ein kriec erhaben und ein zorn,
dâ von sîn jugent wirt verlorn
und sîn hôher lebetage.
vernement rehte, waz ich sage!
er wirt sô wol versunnen,
daz Troye noch gewunnen

ihm zuletzt das Unheil verursacht,
dass er zu Troja erschlagen wird
und dort leider den Tod empfängt.
Hier bei diesem Fest hat ein
Kampf begonnen und eine Wut,
wodurch seine Jugend verlorengeht
und auch der Herbst seines Lebens.
Versteht das, was ich sage, nicht falsch!
Er wird alt genug werden,
so dass Troja noch

[Ich habe in diesem Abschnitt mitunter etwas freier übersetzt.]

Mittwoch, 24. Februar 2016

4581-4590

werden muoz vil ûz erwelt.
er wirt des lîbes gar ein helt
und des muotes ellenthaft;
er sol mit sînes herzen kraft
rîlichez wunder stellen;
vil mangen ritter vellen
beginnet er mit strîte.
er wirt bî sîner zîte
an allen dingen sældenhaft,
wan an dem einen, daz sîn kraft

besonders herausragend sein wird.
Er wird körperlich ein Held
und geistig tapfer sein;
er wird mit der Kraft seines Herzens
herrliche Wunder vollbringen;
er wird anfangen, so manchen Ritter
im Kampf zu Fall zu bringen.
Er wird während seines Lebens
in jeder Hinsicht Heil erfahren,
außer in einer, dass nämlich seine Kraft

Dienstag, 23. Februar 2016

4571-4580

ein kint, daz lop und êre birt;
wan si noch hînaht swanger wirt
und einen sun wirt tragende,
der hôhen prîs bejagende
muoz werden in dem lande;
gelücke manger hande
zuo fliezen im beginnet.
sîn werder lîp gewinnet
beidiu schœnheit unde tugent.
geloubent, daz sîn reiniu jugent

das Lob und Ansehen hervorbringt,
wenn sie noch heute Nacht schwanger wird
und mit einem Sohn wird schwanger gehen,
der zu jemandem werden muss,
der im Land nach hohem Ruhm strebt.
Mancherlei glückliches Schicksal
wird beginnen ihm zuzuströmen.
Sein herrlicher Körper bringt es
sowohl zu Schönheit als auch zu Tugend.
Glaubt mir, dass seine reine Jugend

Montag, 22. Februar 2016

4561-4570

ûf ein ende und an ein ort.
niht wegent ringe disiu wort
als einen üppeclichen troum.
her Pêleus, der briutegoum,
und sîn âmîe Thêtis
bejagent hie (es sint gewis)
gar einen clâren erben,
der schade mac verderben
mit edelichen sinnen.
diu vrouwe sol gewinnen

bis ich zu einem Ende und zum Schluss komme.
Schätzt diese Worte nicht gering
wie bei einem vergänglichen Traum.
Herr Peleus, der Bräutigam,
und seine geliebte Thetis,
die bekommen hier (dessen könnt ihr sicher sein)
einen überaus schönen Erben,
der in der Lage ist, mit edlem Gemüt
Schlechtes zunichte zu machen.
Die Dame muss ein Kind bekommen,

Donnerstag, 18. Februar 2016

4551-4560

vil sanfte gie der grîse.
über sîne krucken lîse
leint er sich bî der stunde
und sprach mit wîsem munde:
›Ir werden geste rîche,
vernement algelîche,
waz ich iu welle künden.
von hôher liste fünden
erkenne ich künftic wunder:
des hœrent mich besunder

ging der greise Mann ganz bedächtig.
Langsam lehnt er sich daraufhin
über seinen Stock
und sagte, mit wissendem Mund:
›Ihr angesehenen, mächtigen Gäste,
hört alle zusammen,
was ich euch verkünden möchte.
Durch die Künste hoher Weisheit
weiß ich von außergewöhnlichen, zukünftigen Dingen.
Hört mir deshalb aufmerksam zu,

[Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich mir an kreativen Übersetzungen von »wîse« regelmäßig die Zähne ausbeiße. Hier einmal eine Übersetzung mit »wissend«.]

Mittwoch, 17. Februar 2016

4541-4550

ûf sînem grâwen kopfe;
mit einem spæhen knopfe
ein twehel was dar ümbe
in wunderlicher krümbe
geworfen und gestricket.
gestellet und gesticket
sîn figûre schein alsus.
geheizen was er Prôtheus
und weste künfteclîchiu dinc.
enmitten ûf des plânes rinc

auf seinem grauen Kopf.
Mit einem kunstvollen Knopf
war darum ein
auf erstaunliche Weise gefaltetes
Tuch geworfen und geschlungen.
So war seine Gestalt
den Augen auffällig dargeboten.
Er hieß Protheus
und wusste Bescheid über zukünftige Dinge.
Mitten hinein in den Kreis auf dem Platz

[Unter »krümbe« verstehe ich hier das spezifische vestimentäre Arrangement; deshalb die Übersetzung mit »gefaltet«.]

Dienstag, 16. Februar 2016

4531-4540

het er gewunden umbe sich,
dâ manic valte wunderlich
stuont an in fremder schouwe.
gescheitelt als ein frouwe
was der selbe wîssage.
verslizzen het er sîne tage
als ein prophête künste wîs.
hâr unde bart im waren grîs
und hiengen ûf den gürtel sîn.
er truoc ein kriechisch hüetelîn

um sich geschlungen,
wodurch sich manche wunderbare Falte
fremden Blicken präsentierte.
Wie eine Dame gescheitelt
war dieser Weissager.
Seine Tage hatte er als ein
Prophet zugebracht, der sein Metier beherrschte.
Sein Haar und Bart waren grau
und hingen herab bis zu seinem Gürtel.
Er trug ein griechisches Hütchen

Montag, 15. Februar 2016

4521-4530

mit zouber ûf der erden.
den hôhen und den werden
wont er ze hove gerne mite.
nâch eines alten mannes site
gestellet was sîn bilde.
reht als ein Krieche wilde
truoc er vellen unde roc,
der obedach und underzoc
wâren von samîte.
den mantel bî der zîte

hier auf Erden mit Hilfe von Zauber in der Lage.
Am Hof war er gerne bei den
Bedeutenden und Angesehenen.
Sein Aussehen war so wie bei
einem alten Mann geformt.
Ganz so wie ein wilder Grieche
trug er Felle und einen Rock;
deren Überzug und Unterfutter
waren aus Samt. 
Den Mantel hatte er zu dieser Zeit

Freitag, 12. Februar 2016

4511-4520

mit rîcher sinne lône;
dar umb er dicke schône
von herren wart gehandelt.
verkêret und verwandelt
wart sîn bilde schiere.
ze vogel und ze tiere
wart er, swenne er wolte.
swaz ieman schaffen solte
von wunderlichen sachen,
daz kunde er wol gemachen

als Lohn eines mächtigen Verstandes.
Deshalb wurde er von hohen Herren
oftmals höflich zurate gezogen.
Sein Aussehen ließ sich blitzschnell
umformen und verwandeln.
Zum Vogel und zum Tier
wurde er, wann immer er das wollte.
Ganz egal, was jemand zu bewerkstelligen hatte,
welch wunderbare Dinge,
das ins Werk zu setzen, dazu war er

[Ist die Kunstfertigkeit die Belohnung oder sind die »rîchen sinne« die Belohnung? Ich verstehe die Passage so, dass die »rîchen sinne« die Grundlage sind, um es zur Kunstfertigkeit zu bringen.]

Donnerstag, 11. Februar 2016

4501-4510

kund er wol den liuten
bescheiden und betiuten.
Er was alt unde virne.
den louf an dem gestirne
bekande der prophête.
waz iegelich planête
bezeichenunge brâhte,
wîslîche er daz bedâhte
und was ûf ez versunnen.
er hete kunst gewunen

konnte er den Leuten klar
unterscheiden und verständlich machen.
Er war alt und weise.
Die Bahnen am Sternenhimmel
kannte der Prophet.
Welche Zeichen und Bedeutung
ein jeder Planet brachte,
darüber dachte er mit großem Scharfsinn nach
und gedanklich war er darin vertieft.
Zu Kunstfertigkeit hatte er es gebracht

Mittwoch, 10. Februar 2016

4491-4500

des heten si vergezzen
und wâren dâ gesezzen
vrœlîche z'einem ringe.
von hübscher fuoge dinge
wart kurzewîle dô vernomen.
nû was ouch dar ze hove komen
ein wîssage ûz dem lande,
der hete maniger hande
witze in sînem muote.
daz übele und daz guote

das hatten sie vergessen
und hatten sich dort fröhlich
in einem Kreis versammelt.
Von Dingen höfischer Anständigkeit
hörte man dort Vergnügliches.
Nun war auch dorthin zum Hof ein
Weissager aus jenem Land gekommen,
dessen Denken mit
macherlei Wissen erfüllt war.
Das Böse und das Gute

Dienstag, 9. Februar 2016

4481-4490

und îlte mit ir schiere dô.
ze sînem vater Prîamô,
der sîn doch niht erkande,
gienc der hôchgenande
und der getriuwe jungelinc.
der sazte in an der künige rinc
und bôt im werdeclîche zuht.
sich huop dâ fröude mit genuht
von maniger hande wunnespil.
dâ was gewesen krieges vil,

und ging dann eilig mir ihr;
zu seinem Vater Priamus,
der ihn aber nicht erkannte,
ging der junge Mann, der
edel gesinnt war und treu.
Jener setze ihn in den Kreis der Könige
und erzeigte ihm ehrenvolle Höflichkeit.
Da kam Freude in Hülle und Fülle auf
durch vielfältige Formen freudiger Spiele.
Viel Feindseligkeit war dort gewesen,

[Die Wörterbücher bleiben in Sachen »wunnespil« sehr allgemein.]

Montag, 8. Februar 2016

4471-4480

und die vil hôhen sælde mîn.‹
›genâde, werdiu künigin,‹
sprach aber dô Pârîs zehant,
›iu sol von rehte manic lant
iemer undertænic wesen.
ir hânt den wunsch an iuch gelesen
und aller sælden houbetschaz,
des wil ich âne widersaz
iu dienen mit vil stæter gir‹
sus neic er zühteclichen ir

und meine große Vollkommenheit.‹
›Verzeiht, verehrte Königin‹,
sagte da aber Paris sogleich,
›euch muss mit Recht so manches Land
ewig untergeben sein.
Was man sich nur wünschen kann, habt ihr für euch
gesammelt und den größten Schatz an Segen und Heil,
deshalb will ich widerstandslos
euch dienen, mit ganz beständigem Begehren‹.
Mit diesen Worten verneigte er sich höflich vor ihr

Freitag, 5. Februar 2016

4461-4470

ir minne und ir genâde kunt.
ich sol dîn riuwic herze wunt
verheilen mit der helfe mîn,
dû maht des âne vorhte sîn,
daz ich dir velsche mîniu wort.
dîn muot erfüllet ûf ein ort
wirt an der getriuwen.
ich lœse dich von riuwen
und ûz senender arebeit;
des nim ze pfande mînen eit

ihrer Minne und ihrer Gnade bekannt gemacht.
Ich muss dein betrübtes, verletztes Herz
mit meiner Hilfe heilen;
da brauchst du dir keine Sorgen machen,
dass ich dich mit meinen Worten täusche.
Dein Denken und Wollen wird
– dank der Ehrbaren – von A bis Z durchdrungen.
Ich werde dich von Traurigkeit
und von der Mühsal der Sehnsucht befreien;
nimm als Garantie dafür meinen Eid

Donnerstag, 4. Februar 2016

4451-4460

erfüllet an ir werden,
durch daz ich ûf der erden
herze, lîp, sin unde leben
für eigen iu well iemer geben.‹
Vênus, diu minneclîche, dô
Pârîse antwürte gap alsô.
›geselle,‹ sprach si wider in,
›sît ich dir leben unde sin
ûf Helenam gewîset hân,
sô wirt dir ouch von mir getân

nach ihr Erfüllung finden,
wofür ich auf Erden
Leben, Körper, Herz und Verstand
euch für immer geben und übereignen will.‹
Venus, die Liebevolle, gab
Paris darauf folgende Antwort:
›Mein Lieber‹, sagte sie zu ihm,
›weil ich dein Leben und Denken
auf Helena gerichtet habe,
so wirst du auch von mir mit

Mittwoch, 3. Februar 2016

4441-4450

und ir lop für alliu wîp.
beschouwe ich denne ir süezen lîp,
sô muoz ich lîden manic nôt.
Helêne ist mînes herzens tôt,
ob ir genâde an mir verzaget;
daz lânt iu, frouwe, sîn geclaget
durch iuwer hôhen sælikeit.
ir hânt mir hie von ir geseit
êr unde ganze wirde,
nû lânt ouch mîne girde

und ihr Ruhm, der den aller anderen Frauen übertrifft.
Werde ich erst ihre süße Gestalt anschauen,
dann werde ich so manchen Kummer leiden.
Helena ist, wenn ihr mir keine Gnade gewährt,
der Tod meines Herzens.
Lasst euch das geklagt sein, edle Dame,
angesichts eurer großen Vollkommenheit.
Ihr habt mir hier von ihrem
Ansehen und ihrer ganzen Würde berichtet;
lasst nun auch mein Begehren

Dienstag, 2. Februar 2016

4431-4440

niht helferîche stiure,
sô würde ich in dem fiure
der minne gar versmelzet.
versigelt und gevelzet
ist jâmer in mîns herzen grunt
sô vaste in einer kurzen stunt,
daz ich mit langer swære craft
muoz ân ende sîn behaft,
ob ir mich âne ir minne lât,
sît mich ir nam versêret hât

keine tatkräftige Unterstützung gewährt,
dann werde ich in dem Feuer
der Minne ganz und gar zerschmelzen.
In der Tiefe meines Herzens ist qualvolles Verlangen
so fest und in so kurzer Zeit
gefaltet und versiegelt worden,
dass ich mit der Gewalt eines langen Leides
für immer gefesselt sein muss,
wenn ihr mich ohne ihre Minne sein lasst,
da mich ihr Name verwundet hat

Montag, 1. Februar 2016

4421-4430

wil mîden alle vrouwen.
mich hât ir prîs verhouwen
und ir name reine.
ze herzen und ze beine
bin ich verwundet von ir lobe.
ir minne reizel und ir clobe
hât mînen muot gevangen;
des muoz ich an ir hangen
und an ir genâde cleben.
welt ir mir, sælic vrouwe, geben

alle Damen meiden will.
Ihr hohes Ansehen und
ihr makelloser Name haben mich verletzt.
An Herz und Beinen
bin ich durch ihr Lob verwundet.
Die Lockspeise und Leimrute ihrer Minne
haben mein Denken und Wollen gefangen.
Deshalb muss ich an ihr festhängen
und an ihrer Gnade kleben bleiben.
Wenn ihr, gesegnete, edle Dame, mir

[»clobe« ist (laut Lexer) »gespaltenes holzstück zum klemmen, festhalten: als fessel, fussfessel« und auch »bes. gespaltenes holzstück zum vogelfang«. »Leimrute« würde insofern nicht ganz stimmen, ist aber anschaulich, was mir bei derartigen, uns heute unvertrauten Begriffen wichtig zu sein scheint.]