Mittwoch, 30. November 2016

6221-6230

bestuont er kampfes bî dem mer
und valte si mit hôher wer
dâ nider ûf des sandes griez.
sîn meister bat in unde hiez
bestân die snellen trachen;
ersmieren und erlachen
muost er in allen stürmen,
vor giftebæren würmen
getorste er sich niht rimphen;
er muoste vür ein schimphen

besiegte er am Meer im Kampf
und schlug sie – gegen großen Widerstand –
dort zu Boden, hinab auf den Kiesstrand.
Sein Lehrmeister bat ihn – und gebot ihm –
die schnellen Drachen zu attackieren;
in allen Kämpfen musste er
anfangen zu lächeln und zu lachen;
auch angesichts giftiger Drachen
wagte er es nicht, sich zu ducken;
all seine mühseligen Qualen

[Meint »mit hôher wer« den Widerstand der Krokodile?]

Dienstag, 29. November 2016

6211-6220

gerüemet an der selben stete,
swenn er getürsteclichen tete.
Dâ mite geschuof der meister hôch,
daz er in dem walde vlôch
kein übel dinc, des sint gewis.
ein tier, daz heizet tygris
und ist gar bitterlichen arc,
daz kunde der juncherre starc
wol veigen unde villen.
die grimmen cocatrillen

noch am gleichen Ort gepriesen,
wann immer er sich als kühn erwiesen hatte.
Auf diese Weise – da könnt ihr sicher sein –
sorgte der große Meister dafür, dass er in dem Wald
vor nichts davonlief, was gefährlich war.
Ein Tier, das Tigris heißt,
und sich durch überaus garstige Bösartigkeit auszeichnet,
das konnte der starke junge Herr
gestrost töten und enthäuten.
Die schrecklichen Kokrodile  

[Ich habe die Krokodile etwas verfremdet…]

Montag, 28. November 2016

6201-6210

muost er diu küenen eberswîn;
diu kleinen cranken tierlîn,
diu liez er ungetœtet.
sô sîniu schoz gerœtet
von bluote wurden alle,
sô lepte in fröuden schalle
Schŷron, sîn meister, alzehant.
sîn lop daz wart ûf in gewant
und sîn durchliuhticlicher prîs;
von im wart er in alle wîs

die mutigen Eberschweine in Empfang nehmen;
die jungen, schwachen Tiere,
die ließ er am Leben.
Wenn alle seine Wurfspieße
rot vom Blut geworden waren,
dann geriet sein Meister, Schyron,
sogleich in euphorische Stimmung.
Er bedachte ihn mit Lob
und mit hell strahlender Anerkennung;
von ihm wurde er auf jede erdenkliche Weise

Freitag, 25. November 2016

6191-6200

möht über sîn geklummen.
Schŷron lêrt in die summen
von griuwelichen dingen:
er hiez in dicke springen
über manic tobel tief;
lêhparten spranc er unde lief
drât unde snelleclîche vor.
ûf aller vrechen tiere spor
hiez in sîn meister gâhen.
mit sînem spieze enphâhen

es geschafft hätten, hinüberzuklettern.
Schyron brachte ihm die ganze Masse
an grauenerregenden Dingen bei:
häufig ließ er ihn über
viele tiefe Schluchten springen;
geschickt und schnell übersprang und
überholte er Leoparden.
Die Fährte all der gefährlichen Tiere
ließ ihn sein Lehrmeister eilig folgen. 
Mit seinem Spieß musste er

Donnerstag, 24. November 2016

6181-6190

daz manic stein dar inne lief,
sô muoste er an ir strûme tief
stên mit blôzen beinen,
und von den herten steinen
vil grimmer stœze lîden.
kein dinc getorste er mîden,
daz engestlîche was getân:
er muoste loufen unde gân
ûf manigen hôhen rûhen berc,
dâ weder katze, noch getwerc

dass viele Steine darin trieben,
dann musste er tief in ihrer Strömung
mit nackten Beinen stehen
und von den harten Steinen
viele schlimme Schläge einstecken.
Er durfte es nicht wagen, einer Sache auszuweichen,
die gefärhlich war.
Er musste auf so manchen hohen, felsigen Berg
laufen und steigen,
wo weder Katzen noch Zwerge

Mittwoch, 23. November 2016

6171-6180

wart dem juncherren offen;
er hæte ein hâr wol troffen
mit sînes bogen pfîle.
vil herter kurzewîle
lêrt in Schŷron ein wunder.
daz er genas dar under,
daz was ein grôz unbilde.
wan sô diu wazzer wilde
sich in dem walde erguzzen
und alsô tobende fluzzen,

dazu hatte der junge Herr Gelegenheit.
Er hätte mit den Pfeilen seines Bogens
gewiss ein Haar getroffen.
Schyron lehrte ihn eine schier unglaubliche
Menge strapaziöser Vergnügungen.
Dass er dabei am Leben blieb,
das war ein großes Wunder.
Denn wenn im Wald
die wilden Fluten strömten
und so stürmisch flossen,

Dienstag, 22. November 2016

6161-6170

und in mit leide tet gedon.
sîn zühte meister Schŷron
lêrt in behendekeite vil:
schâchzabel, schirmen, seitenspil
und singen mit dem munde,
daz muoste er gar von grunde
biz ûf ein ende kunnen.
von allen hovewunnen
lêrte er in den überfluz.
ze râme schiezen mangen schuz

und ihnen auf schmerzliche Weise Gewalt antat.
Sein Erzieher und Lehrmeister Schyron
brachte ihm zahlreiche Fertigkeiten bei:
Schachspielen, Schwertkampf, das Spielen auf Saiteninstrumenten
und das Singen mit dem Mund,
das musste er von den Grundlagen
bis hin zu den Feinheiten perfekt können.
Von all die Vergnügungen des Hofes
lehrte er ihn mehr als genug.
Oft auf eine Ziel zu schießen, das

Montag, 21. November 2016

6151-6160

steic er ûf daz gebirge hôch.
dâ brach er von in unde zôch
diu wilden cleinen grîfelîn.
wan sô Schŷron, der meister sîn,
wart von in geblicket an,
sô liezen si diu kint her dan
ab den vil hôhen flinsen
Achille balde dinsen
und getorsten im niht wern,
daz er si kunde alsus verhern

stieg er, hinauf auf das hohe Gebirge.
Da nahm und entriss er ihnen
die wilden, kleinen Greiflein.
Wenn dann Schyron, sein Lehrmeister,
von ihnen angesehen wurde,
dann ließen sie die Kinder hinab
von dem hohen Felsen
und sogleich durch Achill hinwegtragen
und sie wagten es nicht, sich gegen ihn zu wehren,
so dass er in der Lage war, sie auf diese Weise zu berauben

Freitag, 18. November 2016

6141-6150

güetlîche kuste sîniu lider.
kam aber ungesêret wider
vür in der süeze Achilles,
sô wând er âne zwîvel des,
er kæme ân allen strît her dan,
und sach in übelichen an
durch sîne rûhen brâwen.
er muoste ouch ûz den clâwen
den grîfen zücken alle ir fruht.
in ir geniste und in ir zuht

wohlwollend seine Glieder küsste.
Wenn aber der süße Achill
unversehrt zu ihm zurückkam,
dann hatte er keinen Zweifel daran,
dass er ohne gekämpft zu haben herbei käme
und er sah ihn durch seine
struppigen Brauen böse an.
Er musste auch den Greifen
aus ihren Klauen die ganze Nahrung entreißen.
In ihr Nest und zu ihrer Brut

Donnerstag, 17. November 2016

6131-6140

dar inne ir kint die beren zugen.
daz si die muoter niht ensugen,
daz kunde er in versperren,
wan er diu welfer zerren
in balde muoste von der brust.
enphienc er danne die verlust,
daz im zerkratzet wart diu hût,
sô wart er liep und alsô trût
dem meister sîn Schŷrône,
daz er im dô ze lône

in der die Bären ihre Kinder großziehen.
Er wusste sie daran zu hintern,
von der Mutter gesäugt zu werden,
indem er die Jungen schnell
von der Brust wegzerrte.
Wenn er dann den Schaden davontrug,
dass ihm die Haut zerkratzt war,
dann bereitete er seinem Meister,
Schyron, eine Freude und war ihm so lieb,
dass er, um ihn zu belohnen,

Mittwoch, 16. November 2016

6121-6130

von der senewen snüere
gesnurrete und gefüere.
Sîn louf, der muoste dringen
vür der strâlen swingen
und für der gæhen bolze fluc.
Schŷron der lêrte in mangen tuc,
der griuwelîche was gestalt,
und mahte in alsô rehte balt
mit sîner künste fuoge,
daz er slouf in die luoge,

von den Fäden der Sehne
schnellte und sauste.
Mit seinem Sprint drängte er sich 
vor die fliegenden Pfeile
und vor den Flug der flinken Bolzen.
Schyron brachte ihm viele Kunstgriffe bei,
die grauenvoll waren,
und er brachte ihn zu einer solchen Kühnheit
mit seinem tadellosen Können,
dass er in die Höhle schlüpfte,

[Was genau sind denn die »snüere« der Sehne? Meint »tuc« wirklich »Kunstgriff«?]

Dienstag, 15. November 2016

6111-6120

ân alle vorhte fluges lief,
sô daz er in dem wâge tief
den fuoz doch nie genazte.
sô Schŷron ûf gesazte
durch kurzewîle ein verre zil,
und er in sîner wunne spil
schôz dar zuo mit sînem bogen,
sô muoste Achilles ê geflogen
und geloufen sîn dar an,
ê daz der snelle phîl her dan

und ohne jede Furcht –
doch so, dass er in dem tiefen See
den Fuß sich nicht nass machte.
Wenn Schyron des Zeitvertreibs wegen
ein entferntes Ziel aufstellte
und er mit Lust und zum Vergnügen
mit seinem Bogen dorthin schoss,
dann war es so, dass Achill
längst schon dort hingeflogen und hingelaufen war,
noch bevor der schnelle Pfeil

Montag, 14. November 2016

6101-6110

swaz er von künsten wiste;
er schuof mit sînem liste,
daz er wart unmâzen snel.
swâ man von îse ein lindez vel
ûf einem tiefen sêwe kôs,
und er sô lützel dâ gefrôs,
daz man durch sîn vil dünnez dach
ein hâr bereiteclîche sach;
dô muoste Achilles sîn sô balt,
daz er dar über mit gewalt

was Schyron über Geschick und Fertigkeiten wusste;
er sorgte mit seiner klugen Anleitung dafür,
dass er außergewöhnlich schnell wurde.
Wo auch immer man ein zartes Fell aus Eis
auf einem tiefen See entdeckte,
und er so minimal nur gefroren war,
dass man durch sein hauchdünnes Dach
ganz leicht ein Haar hätte sehen können,
dort musste Achill schnellstmöglich sein,
damit er darüber laufe, schnell, mit vollem Einsatz

Donnerstag, 10. November 2016

6091-6100

den ûz erwelten jungelinc,
dur daz er angestbæriu dinc
deste senfteclicher lite,
swenn er mit vrecher hende strite
nâch wirde in sînen jâren.
er lêrte in sô gebâren,
daz er gemaches wênic pflac.
in snêwe saz er unde lac
den âbent und den morgen.
vor im wart niht verborgen,

den auserwählten jungen Mann,
damit er beängstigende Situationen
umso leichter ertrage;
immer dann, wenn er mit kühner Hand
in späteren Jahren einmal um Ansehen kämpfen werde.
Er brachte ihm bei, sich so zu verhalten,
dass er wenig Wert auf Bequemlichkeit legte.
Im Schnee saß und lag er,
morgens und abends.
All das wurde ihm nicht vorenthalten,

Mittwoch, 9. November 2016

6081-6090

wart dem juncherren tiure.
êsieren bî dem fiure
was im betalle vremde.
man liez in cleiner hemde
niht tragen unde dinsen;
er muoste ûf herten flinsen
bî sînem meister nahtes ligen;
wand im dâ bette wart verzigen.
Seht, alsô hertecliche erzôch
Schŷron, der zühte meister hôch,

musste der junge Herr verzichten.
Es sich am Feuer gutgehen lassen,
so etwas kannte er gar nicht.
Feine Hemden ließ man ihn
nicht anziehen und tragen;
er musste nachts auf hartem Stein
bei seinem Meister liegen,
weil ihm dort kein Bett gegeben wurde.
Schaut, auf derart harte Weise erzog
Schyron, der große Meister der Erziehung,   

Dienstag, 8. November 2016

6071-6080

gewermet dâ mit muose:
des wildes crûtes gruose,
die Schŷron mit sîner hant
ûz den wurzen dicke want,
diu wart im în getroufet.
in lindiu tuoch gesloufet
wart ez ze keinen stunden,
Achilles wart gewunden
mit rûher tiere belzen.
phankuochen unde smelzen

Pfanne mit Mus erhitzt:
Der Pflanzensaft des wilden Krauts,
den Schyron mit seinen Händen
oft aus den Wurzeln presste,
der wurde ihm eingeträufelt.
In weiche Tücher wurde
es zu keiner Zeit gehüllt;
Achill wurde eingewickelt in
die groben Pelze wilder Tiere.
Auf Pfannkuchen und Schmalzgerichte 

Montag, 7. November 2016

6061-6070

erkennen vremde spîse.
Schŷron, der künste wîse,
der kunde ez wilder trahte wern.
swenn er die löuwen und die bern
zerbrach mit sîner hende starc,
seht, alsô gap er im daz marc,
daz in dem beine steckete:
daz brûchte ez unde leckete
vür alle spîse danne.
nû wart vil selten phanne

fremde Nahrung kennenlernen.
Schyron, gelehrt im praktischen Wissen,
konnte es vor unbekömmlichen Speisen schützen.
Wann immer er die Löwen und Bären
mit seinen starken Händen zerriss,
schaut, das Mark, das in den
Beinen steckte, das gab er ihm dann:
das leckte es und daran tat es sich dann
gütlich – anstelle aller anderen Nahrung.
Indes wurde keine

[Wie übersetzt man die Litotes »vil selten«?]

Freitag, 4. November 2016

6051-6060

und mit der blanken milche sîn.
Schŷron der liez daz knebelîn
diu grimmen tier niht vliehen.
er wolte ez dar ûf ziehen,
daz ez getürstic wære,
und ez niht diuhte swære
strîtlicher sorgen bürde.
ob menschlich ezzen würde
geleit dem kinde in sînen munt?
nein, ez muoste bî der stunt

und mit ihrer weißen Milch.
Schyron ließ nicht zu, dass der
kleine Knabe vor den wilden Tieren floh. 
Er wollte ihn dazu erziehen,
durstig zu sein
und dass er die beschwerliche Sorge, kämpfen zu müssen,
nicht als Last empfinde.
Ob dem Kind auch meschliches
Essen in seinen Mund gelegt wurde?
Nein, es musste zu dieser Zeit

Donnerstag, 3. November 2016

6041-6050

ze stücken und ze trunzen;
dâ von twanc er die lunzen,
daz si diu jungen löuwelîn
liez âne sûgen dicke sîn,
und ir brüste Achille bôt;
si müeste sîn gelegen tôt,
ob si sich hæte des gewert.
sus wart daz edele kint ernert
und des küniges künne
mit eines löuwen spünne

in Stücke und in Splitter;
damit zwang er die Löwin,
dass sie die kleinen, jungen Löwen
immer wieder ungestillt ließ
und ihre Brüste Achilles anbot.
Sie hätte sterben müssen,
hätte sie sich dagegen gewehrt.
Auf diese Weise wurde das edle Kind
aus der königlichen Familie ernährt,
an der Mutterbrust einer Löwin

Mittwoch, 2. November 2016

6031-6040

begunde sougen disen knaben.
si muoste in mit ir milche laben
alle zît und alle vrist.
Schŷron der kunde wol den list
und hete an im die meisterschaft,
daz er si twanc mit sîner kraft,
daz si daz kint lie sûgen.
erzamen und erblûgen
muost allez wilt, daz in gesach.
vil schefte er ûf den tieren stach

übernahme es, diesen Knaben zu stillen.
Mit ihrer Milch musste sie ihn
zu jeder Zeit und Gelegenheit erfrischen und stärken.
Schyron, der wusste, wie man das macht,
und er hatte das meisterliche Geschick,
sie mit seiner Kraft dazu zu zwingen,
dass sie das Kind an der Brust saugen ließen.
Zahm und schüchtern
mussten alle wilden Tiere werden, die ihn sahen.
Viele Spieße verstach er auf den Tieren

Dienstag, 1. November 2016

6021-6030

des er geflîzen kunde sich.
der zühte meister lobelich
lêrt in behendeclîchiu dinc.
dar ûf stuont aller sîn gerinc,
daz er in herteclîche züge.
ob dirre knabe ein ammen süge?
nein, er souc ein wildez tier.
daz kint liutesælic unde zier
wart niht an wîbes brust geleit:
ein lunze, diu den löuwen treit,

die er – pflichteifrig – zu leisten im Stande war.
Der lobenswerte Meister in Sachen Bildung und Anstand
brachte ihm allerlei Arten von Geschicklichkeit bei.
All sein Streben war darauf gerichtet,
dass er ihn auf harte Weise erzöge.
Ob dieser Knabe von einer Amme gestillt wurde?
Nein, ihn stillte ein wildes Tier.
Das leutselige, schöne Kind
wurde nicht an die Brust einer Frau gelegt:
Eine Löwin, die Löwen trug,